Binoche, Stewart und "Die Wolken von Sils Maria"

Mit Anfang 20, da ist es leicht, selbstbewusst gegen die Vergänglichkeit zu protestieren, oder besser: Sie gar nicht erst wahrzunehmen, weil sie noch so weit entfernt ist. Aber 20 Jahre später hat das Hadern um Fältchen, um schwindende Schönheit und verblassenden Eindruck längst begonnen. Der kurzen Blütezeit der Jugend folgt ein quälend langsamer Prozess des Vergehens, den man das Altern nennt.

„Die Wolken von Sils Maria“ (Foto: Filmladen)

Olivier Assayas hat mit diesem in seiner Unabwendbarkeit beinahe schon banalen Thema die intelligente Auseinandersetzung gesucht – und gefunden. In „Die Wolken von Sils Maria“ entwirft er mit sicherer Hand ein verwinkeltes Konzept, das seine Protagonistin mit all ihrem Selbstvertrauen und all ihren Selbstzweifeln in ein Kammerspiel sperrt, in der Hoffnung, ihr dramatisches Innenleben berste nach außen.

Die Schauspielerin Maria Enders (Juliette Binoche) ist Mitte 40 und soll in einer Neuinszenierung jenes Theaterstücks mitwirken, das sie dereinst berühmt gemacht hatte: Mit 18 spielte sie die Rolle der jungen Sigrid, die eine mehr als doppelt so alte Frau namens Helena zunächst dazu brachte, sich in sie zu verlieben, und anschließend sang- und klanglos verschwand, sodass Helena aus Verzweiflung Selbstmord beging. Bei der Neuauflage des Stücks ist ihr nun die Rolle der Helena zugedacht worden, das junge Hollywood-Starlett Jo-Ann Ellis (Chloë Grace Moretz) soll den Part von Sigrid übernehmen.
Maria muss sich zur Entscheidung, ob sie dieses Projekt mitmachen soll, erst mühevoll durchringen. Die Sicht auf sich selbst ist ihr vorerst versperrt. Mit ihrer persönlichen Assistentin Val (Kristen Stewart) zieht sie sich an den Ort zurück, an dem der soeben verstorbene Autor des Stücks gelebt hat: In Sils Maria, in den Schweizer Bergen, will Maria mit Val das Stück durchgehen, um eine heutige Sicht auf ihren damaligen Part zu gewinnen, aber auch, um auszuloten, ob ihre Nachfolgerin in der Rolle, dieser ungehobelte, dümmliche Teenager ohne Tiefgang, überhaupt entspricht. Die Weite dieser Bergwelt kommt einem Selbstreinigungsprozess gleich.
„Die Wolken von Sils Maria“ (Foto: Filmladen)
In ausgezeichneten Dialogen, die voller Referenzen an die Filmgeschichte sind, reflektiert Binoche den gesamten Film über die großen und kleinen Katastrophen aus dem Schauspieleralltag, zwischen emotionaler Raserei und alkoholbedingtem Höhenflug. Kristen Stewart spielt sie in dieser Konstellation als kesse und selbstsichere Assistentin, deren größter Trumpf die eigene Jugend scheint, mühelos an die Wand – eine umwerfende Performance, und das ausgerechnet von jemandem, der selbst mit seichten Vampirfilmchen die Untiefen des Starlet-Daseins durchschritt. Doch das ist Konzept: Assayas bringt durch die selbstsichere Val die fragile Selbstwahrnehmung von Maria durcheinander. Hier schichten sich mehrere Ebenen aus Fiktion und Realität übereinander: Assayas lässt Marias und Vals Zusammenkunft ähnlich abrupt enden wie jene zwischen Sigrid und Helena, legt darüber noch den Schleier eines vermeintlich erstrebenswerten Lebens im Scheinwerferlicht und demaskiert mühelos die dahinter liegende glitzernde Scheinwelt.

Man lernt bei Assayas viel über Schauspieler: An dieser vagen Balance aus glänzendem Ruhm und der Angst vor dem Scheitern muss ihr ganzes Herz hängen, sonst versagt man in der Kunst. An ihr zugrunde geht man aber in jedem Fall
Matthias Greuling

Drama
Die Wolken von Sils Maria, F/CH/D 2014 – derzeit im Kino
Regie: Olivier Assayas. Mit Juliette Binoche, Kristen Stewart 
Dieser Beitrag ist auch in der Wiener Zeitung erschienen.

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